Montag, 31. Oktober 2005

Metrosexuelle Heizdecken

Ich bin seit kurzem wieder – nach sehr langer Absenz – mit einer Lederjacke ausgestattet. Natürlich nicht mit jenem Modell, das vor 20 Jahren als Insignie des unabhängigen Lebensstils galt – nein, keine Rockismus-Tierhaut, sondern eine, die weniger Schweiß und Ausschreitung signalisiert und mehr das Blog-Proletariat (wie ich es mir vorstelle) repräsentiert. Diese Modehilfe kam als Geschenk einer lieben Freundin zu mir und daher in meinen Kasten, weil deren Kastenstangen sich gefährlich mit den Schnickschnackfrüchten des Zeitenlaufs biegen. Dabei stammt das Stück gar nicht aus ihrem ureigensten Schnickschnackbestand, sondern aus dem ihres Mannes, es war aber wohl damals ihre Hardline-Style-Beratung, die ihm zu derlei Schnickschnackglanz verhalf, und als der Glanz ermattet war, wieder auf ihre Kastenstange musste. So wurde von meiner Freundin ein konspiratives Plastiksackerl geschnürt und bei ebensolchem Treffen unter ichbrauchplatz, soschadeabererziehtdasniewiederan, jackesehrgeilo etc. Bezeugungen (und ein paar Wässerchen) eine eierschalenfarbene Lederjacke an mich übergeben. Ja genau: kurz, eierschalenfarben und mit süß-überkandidelten Seitentaschen benäht (wahrscheinlich in irgendeiner Retro-Welle der 80iger Jahre als dezentes Zitatmodeteil hergestellt). Das gut abgehangene Stück Lederjacke ist nun meiner (anfänglich skeptischen) Sympathie ausgesetzt, weil sein Etikett innen mir sagt, es sei "for real man" gemacht, aber es außen so unausgesetzt "camp" ist, dass der Mann meiner Freundin seine heterosexuelle Integrität und Performanz durch sein Tragen sicherlich extrem sabotiert sieht.

Schön, dass es nun meine Schultern sind, die eine an und für sich ernste Sache (wirklicher Mann) in etwas Frivol-Komisches (Mann, nicht wirklich und eierschalenfarben) überführen dürfen. Campness ist immer noch/immer wieder eine tolle Erlebenshilfe, und meine kurzzeitige Befürchtung, dass die superöde, industrielle Idee von Metrosexualität einigen Schaden anrichten könnte, hat sich als mein Denkfehler erwiesen (und im übrigen habe ich letztere solange ignoriert bis sie von allein verschwunden ist). Als ich in der Straßenbahn vor Jahren während einer kalten Fahrt den Satz einer älteren Mitbürgerin und lebensweisen Agentin zu einer anderen Agentin aufschnappte, "dass dem Menschen, der die Heizdecke erfunden hat, eine große Anerkennung gebührt" hätte ich ein lautes "und dem Menschen der Camp erfunden hat auch" anfügen sollen. Allein, so parat ist und hat man das nie (besonders wenn ältere Agentinnen mit Pelzhauben involviert sind), aber ich verstehe diesen kleinen Beitrag als Nachholung von schmählich Versäumtem...
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