Samstag, 8. Oktober 2005

Was eine esspoetische Ungerechtigkeit ist

Nach der Amtseinführung des neuen Papstes kochte ich mir zum erstenmal "Egg benedict" aus Gründen des Übermuts und billiger Alltagspolemisierung zum Sonntagsfrühstück. Es hat überraschenderweise sehr, sehr gut geschmeckt, was ich anfänglich dem verfressenen jungen Menschen nicht recht glauben wollte, der mir vor einiger Zeit von der in der Stadt grassierenden Brunch-Essmode erzählte, wo man eben besagtes Ei schon seit längerem anbietet. Ich lasse mir immer gern vom Essen und Kochen erzählen, denn eine eindrückliche Einverleibung ist das, was beinahe unauslöschlich in unserer Erinnerung bleibt. "Egg benedict" ist nun tatsächlich ein tolles Rezept, denn es hat ein sehr popkulturelles Element, das beim Kochen selten vorkommt, nämlich die Doppelung, die Wiederholung: Zwei Darreichungsformen des Eis in einer Speise – pochiert und als Sauce hollandaise. - Zwei Vögel mit einem Stein! Da mich nun der neue Papst nicht sonderlich interessiert und ich es auf Dauer als esspoetische Ungerechtigkeit empfinden würde, bei meinen seltenen Sonntagslebensverfeinerungen an die jüngsten Personalveränderungen der katholischen Kirche erinnert zu werden, heißt das jetzt bei mir "Ei wie zwei Vögel mit einem Stein". Morgen mache ich mir das, und wenn es jemanden interessiert kann ich nächste Woche das Rezept hierher stellen...inshallah!

Reichtumsrausch mit Elke

Und überhaupt die Paradoxie - die hat was. Ich liebe geradezu die Phrase "prekärer Wohlstand", weil ich mir einbilde, selber davon betroffen zu sein und der eher leidlichen Lebenssituation eine eher tolle Überschrift zu geben vermag. Dieser Wohlstand ist nicht peinlich und kann überdies als "firewall" gegenüber jedweder Freizeitidee hochgezogen werden, bei der man einfach nicht mitmachen will und die "irgendetwas" kostet. Letzte Woche habe ich leichtfertig zu einer Freundin gesagt, ich sei jetzt reich (weil ich ein bisschen mehr arbeite) und musste dann abends in einer Art Reichtumsrausch
mit ihr zu einer Performance von Elke Krystufek gehen, die einen frechen Eintrittpreis hatte und insgesamt enttäuschend war. Das Schönste aber war, dass wir uns beide kurzzeitig unseren Wohlstand glaubten.

Schön, vielleicht

Ich gehöre nun zum Blog-Proletariat und bin ersteinmal und gleichzeitig der Folter und der Freude meines modernen Unvorsichtigseins ausgesetzt. Individualitätspanik (in Sinn von zuwenig aber auch manchmal von zuviel) war immer schon einer meiner Motoren für folgenlosen Tratsch und fragwürdiger Produktion. Bei jeder sich bietenden, besseren Gelegenheit sondere ich meine Lieblingsstandardbehauptung "der Mensch braucht ein Mysterium" ab, aber im Garten meines Herzens meine ich damit "eine kleine Individualitätspanik ist eine schöne innere Ressource, behalte sie doch für dich". Allein, ich bin jetzt auch hier drin, zusammen mit Millionen von Ichs mit "Panik-Ausstattungen" unterschiedlichster Größe und Ausformung und betreibe hobbymäßig die Selbstwerdung durch Einzeln- und Besonders-Sein. Das ist unvorsichtig, paradox und vielleicht sogar schön.
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